
Sich nicht alles vom Chef gefallen lassen: Beschäftigte, die sich in Solingen über schlechte Arbeitsbedingungen ärgern, sollen sich stärker um ihre Interessen kümmern – und einen Betriebsrat
gründen, wo es noch keine Arbeitnehmervertretung gibt. Dazu hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) anlässlich des 100-jährigen Bestehens von Betriebsräten in Deutschland [f. d.
Red.: 4. Februar] aufgerufen. „Gerade in kleinen Bäckereien, Restaurants und Pensionen brauchen wir mehr Betriebsräte. Denn ohne das Sprachrohr der Belegschaft ziehen Beschäftigte oft den
Kürzeren – von der Arbeitszeit bis zur Personalplanung“, betont Zayde Torun von der NGG Düsseldorf-Wuppertal. Nach Angaben der Arbeitsagentur arbeiten in Solingen 16.200 Menschen in
Kleinbetrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern – Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten ausgenommen. Die Gründung eines Betriebsrats ist in Firmen ab fünf Beschäftigten möglich.
„Betriebsräte helfen nicht nur, Jobs zu sichern. Sie geben auch kreative Impulse aus der Belegschaft an die Chefetage weiter und tragen dazu bei, Firmen fit für die Zukunft zu machen“,
unterstreicht NGG-Geschäftsführerin Torun. Mit Blick auf die Digitalisierung seien die Arbeitnehmervertreter wichtiger denn je. Von neuen Rezepturen in der Lebensmittelherstellung bis hin zur
Software-Umstellung in der Gastro-Kasse – „am Ende profitiert auch das Unternehmen“, so Torun. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind Firmen mit Betriebsrat durchschnittlich 18 Prozent
produktiver als solche ohne. Der Grund: Arbeitnehmervertretungen erkennen Probleme im Arbeitsalltag schneller und sorgen für einen besseren Austausch zwischen Belegschaft und Management.
Trotzdem ging die Zahl der Betriebsräte in den letzten Jahren zurück. Konnten in Nordrhein- Westfalen im Jahr 2002 noch 51 Prozent aller Beschäftigten auf einen Betriebsrat zählen, so waren es im
Jahr 2018 nur noch 44 Prozent. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Nach Einschätzung von Gewerkschafterin Torun ist dafür
auch der raue Umgangston in vielen Kleinbetrieben verantwortlich. „In Bäckereien, Hotels und Metzgereien schrecken Beschäftigte oft vor einer Betriebsratsgründung zurück. Doch niemand sollte sich
um sein gutes Recht bringen lassen.“ Die NGG bietet Mitgliedern Unterstützung beim Aufbau einer Arbeitnehmervertretung.
Am 4. Februar 1920 trat das Betriebsrätegesetz, der Vorläufer der heutigen Mitbestimmung, in Kraft. Die Nationalsozialisten schafften die Arbeitnehmervertretungen 1934 ab. Seit 1952 sind die
Pflichten und Rechte der Betriebsräte im Betriebsverfassungsgesetz festgeschrieben.
Foto (c) NGG
Kommentar schreiben